Der bewegte Wanderer
von Dr. Burkhard Budde
Warum er denn so gerne wandere? wird ein Mann gefragt, der gerade in seine Wanderkarte schaut. Er blickt erstaunt auf und antwortet: Immer wenn er sich unter freiem Himmel bewege, fühle er sich frei. Und dann fügt er noch hinzu: Ich habe keinen Aufpasser, der alles kontrolliert. Keine Spaßbremse, die alles madig macht. Keine Fee, die alles für mich macht. Keinen Götzen, der alles von mir fordert.
Der Fragende versteht nicht so recht. Der Wanderer schildert seine Erfahrungen: Wenn er auf das Singen der Vögel lausche, höre er auch etwas Wichtiges über sich selbst. Wenn er über die Schönheit der Blumen staune, dann sehe er auch etwas Prächtiges in seinem Leben. Überhaupt, wenn er das Werden und Vergehen in der Natur beobachte, dann könne er auch eine unsichtbare und schöpferische Hand entdecken. Deshalb suche er Orte der Stille, gehe manchmal wie auf Zehenspitzen durch den Wald, wolle ungestört, unbeobachtet und unkontrolliert etwas Frieden und Geborgenheit erleben.
Aber wenn die Natur Stress mache, weil plötzlich der Nebel den Blick verstelle, dunkle Wolken und ein gefährliches Gewitter die Gefühle verändere? Oder wenn er an einer Wegkreuzung stehe und sich verlaufen habe, er eine Entscheidung treffen müssen – was dann?
Langsam wir deutlich: Ein Wanderer in Schönwetterzeiten, vor allem jedoch ein Wanderer, der durch schwere Zeiten gut hindurchkommen will, lebt von verschiedenen Begabungen, die wie unterschiedliche Geschwister sind. Sie verstehen sich nicht immer, kämpfen manchmal sogar gegeneinander, aber sie werden alle gebraucht, wenn ein Mensch (über-) leben will: Die rationale Begabung des Menschen kann die Karte lesen, analysieren und neue Wege begründen. Die poetische Begabung nimmt die Ästhetik der Bäume, Tiere und Pflanzen wahr, die auf keiner Karte verzeichnet ist. Und die intuitive Begabung erahnt, dass der ganze Mensch mit all seinen Sinnen etwas finden kann, was er vielleicht gar nicht gesucht hat, aber als Gottes Gabe und Liebe spürbar ist: Eine Sonne, die den Nebel der Sorgen und Ängste vertreibt.
Einen Himmel im Menschen, der Freiheit und Freude schenkt.
Der spirituelle Impuls ist am 8. August 2020 im Westfalen-Blatt veröffentlicht worden.
Der in Bünde geborene Dr. Burkhard Budde hat in Münster Theologie, Publizistik und Philosophie studiert. Von 1981 bis 1994 war er Pastor der evangelischen Kirchengemeinde in Spenge und von 1994 bis 2014 Leiter der diakonischen Stiftung Braunschweig. Heute lebt er als freier Journalist und Autor in Bad Harzburg.